17. November 2014

Beschimpfungen und Missbrauch sind zu Ende

Der kleine Aneh hat sein ganzes Leben als Sklave im Norden verbracht. Beschimpfungen, Schläge, Zwangsarbeit und sogar Vergewaltigung gehörten zu seinem Alltag. Jetzt ist er frei.

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Bundesstaat Nördlicher Bahr el-Ghazal, Südsudan. Da sitzen sie unter einem Baum: fast 200 Menschen, die während Jahren im Sudan versklavt waren. Männer, Frauen, Kinder – einige kamen überhaupt erst in der Sklaverei auf die Welt. Alle stammen aus dem Südsudan. Während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs zwischen dem Norden und dem Süden fielen arabische Milizen aus dem Norden in den Süden ein, brandschatzten, plünderten, mordeten und führten Zehntausende gefangen weg. Der Sklavenzug in den Norden war geprägt von Schlägen und sexuellem Missbrauch. Wer zu flüchten versuchte oder zu schwach war für den Weitermarsch, wurde getötet. Die Sklavenjagden waren Teil des Dschihad, den Omar al-Baschir, der sudanesische Präsident, während des Bürgerkriegs gegen den Süden ausgerufen hatte.

CSI will alle befreien

Das ist inzwischen lange her. 2005 wurde ein Friedensabkommen abgeschlossen, seit Juli 2011 ist der Südsudan ein unabhängiger Staat, der auch vom Sudan anerkannt wird. Zwar kommt es weiterhin zu gewaltsamen Streitigkeiten: In den Nubabergen bombardieren sudanesische Kampfflugzeuge regelmäßig angebliche Rebellen; ein Machtkampf innerhalb des Südsudan, der auch zu einem ethnischen Konflikt zwischen Nuer und Dinka erklärt wurde, forderte bereits mehrere tausend Menschenleben. Aber die Sklavenjagden sind vorbei. Sie haben mit dem Friedensabkommen von 2005 aufgehört. Und doch sind heute – fast zehn Jahre später – immer noch viele SüdsudanesInnen im Sudan versklavt. Nach vorsichtigen Schätzungen sind es 20 000, aber so genau weiß das niemand. CSI hat sich zum Ziel gesetzt, alle zu befreien.

Zur Strafe Peitschenhiebe

Zurück zu den ehemaligen SklavInnen unter dem großen Baum, dessen Schatten die ganze Schar vor der sengenden Sonne schützt. Einer der Befreiten ist der etwa 9-jährige Aneh Manot Bak. Er wurde wahrscheinlich als Baby entführt oder kam vielleicht sogar erst im Norden auf die Welt. Aneh erinnert sich weder an seinen Vater noch an seine Mutter. Seinen Namen und sein Heimatdorf kennt er nur dank einer älteren Sklavin. Dieses Wissen ist viel wert: Aneh wird in seinem Dorf Menschen finden, die sich um ihn kümmern. Sollte er keine Verwandten mehr haben, wird der Dorfchef für ihn einen Pflegevater bestimmen.

Als wir Aneh einige Fragen stellen, ist er anfänglich misstrauisch und wortkarg. Später taut er etwas auf. Beim Fotografieren zum Abschluss des Interviews beginnt er sogar herzhaft zu lachen.

Sein Sklavenhalter Abdullai sei ein böser Mensch gewesen, erzählt Aneh uns. «Er schlug mich mit einer Peitsche, wenn ich müde war oder krank und nicht arbeiten konnte. Er beschimpfte mich als Idiot oder schmutziger Sklave. Manchmal bekam ich kein Essen, weil ich Dinka bin.» Ja, manchmal habe Abdullai ihn als Frau missbraucht, antwortet Aneh auf die vorsichtig gestellte Frage. Abdullai zwang ihn auch, wie ein Muslim zu beten. An die muslimischen Gebete kann sich Aneh jedoch nicht mehr erinnern, schon im Norden fiel es ihm schwer. «Wenn ich mich nicht an die Worte erinnern konnte, schlug Abdullai mich.» Auch von seiner Frau und den fünf Kindern wurde er geschlagen. Spielen durfte er nicht und schlafen musste der kleine Junge alleine im Freien. Trotz all dieser Misshandlungen musste Aneh seinen Peiniger Vater nennen.

Geschenke zum Neustart

Wie alle anderen ehemals Versklavten bekommt Aneh von uns die nötigen Utensilien für ein Leben in Freiheit – etwa einen Kochtopf, eine Plane, eine Sichel –, einige Kilogramm Getreide und sogar eine eigene Milchziege. Aneh ist dankbar und freut sich mit den anderen jungen Sklaven, die auf dem fast zweiwöchigen Marsch vom Norden zurück in den Süden seine Freunde geworden sind. – Wir verabschieden uns. Aneh wird sich wie alle Befreiten zur Feier des Tages richtig satt essen können, bevor er dann in sein Heimatdorf gebracht wird. Währenddessen macht sich der arabische Rückführer, der Aneh und die andern Sklaven im Auftrag von CSI befreit hat, schon wieder auf den Heimweg in den Norden: Es warten weitere SklavInnen auf ihre Befreiung. 

Adrian Hartmann

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