29. März 2021

Brief aus Aleppo: Nabil Antaki prangert die Sanktionen an

«Die ungerechten und illegalen Sanktionen zerstören unsere Wirtschaft», schreibt Dr. Nabil Antaki von den Blauen Maristen. Der CSI-Partner aus Aleppo beklagt, dass sein Land durch die Intervention vom Westen in den Ruin getrieben werde und immer mehr Landsleute hungern würden. Die Blauen Maristen setzen weiterhin alles daran, ihren leidenden Mitmenschen eine Perspektive zu geben.

P1010800

In seinem neusten Brief aus Aleppo erinnert Antaki an den Beginn des Syrienkriegs vor zehn Jahren, der durch das Demokratieverständnis des Westens und dessen Unterstützung der angeblich «gemässigten Rebellen» zusätzlich angeheizt wurde.

Die Rebellen erklärten, sie wollten einen demokratischen Rechtsstaat errichten, der die Menschenrechte respektiert und die Korruption bekämpft. «Sehr schnell wusste aber jeder, dass diese gemässigten Rebellen nichts anders waren als islamistische Extremisten, die den einzigen säkularen Staat der Region in einen islamistischen Staat verwandeln wollten», hält der CSI-Partner fest.

Nicht Frühling – sondern Winter

Aus dem vom Westen ursprünglich angepriesenen «Arabische Frühling» sei für die Syrer nichts anderes geworden als ein mittlerweile jahrelanger harter Winter. Dieser habe das Land zerstört, mehr als 400‘000 Menschenleben gefordert und insgesamt 13 Millionen Bewohner entwurzelt.

Vor dem Krieg hätten die Syrer in einem säkularen, sicheren und wohlhabenden Land gelebt. Es sei zwar bei weitem nicht alles perfekt gewesen: «Aber keine Ungerechtigkeit und keine Verletzung von Menschenrechten rechtfertigen die Zerstörung unseres Landes.»

Obwohl es in Syrien seit einem Jahr fast keine Kämpfe mehr gebe, würden viele Syrer nichts anderes kennen als Not und Leid. Seine Landsleute würden den Titel «Weltmeister der Belastbarkeit» verdienen. Und dennoch seien sie am Ende ihrer Kräfte. Doch wen wundert’s? «Wir erleben eine beispiellose Wirtschaftskrise, verursacht durch zehn Jahre Krieg, die Finanzkrise im Libanon und durch die von den USA und den europäischen Ländern verhängten Sanktionen», schreibt Antaki. Dabei würden sich die Syrer nichts sehnlicher wünschen, als ein normales Leben in Würde führen zu können.

60 Prozent unterernährt

Ein Leben in Würde bedeutet auch, wenn immer möglich selbst für den eigenen Lebensunterhalt aufkommen zu können. Mit dieser Überzeugung haben die CSI-Partner aus Aleppo in den letzten fünf Jahren nahezu 200 Mikrofinanz-Projekte unterstützt oder auch Berufsausbildungs-Projekte für junge Menschen ins Leben gerufen.

Doch die wirtschaftliche Not vieler Syrer scheint unermesslich zu sein: Nachdem die Blauen Maristen während sechs Jahren monatlich Lebensmittelkörbe an über 1000 Familien verteilt hatten, wurde dieses Hilfsprojekt Anfang 2019 gestoppt. Die Maristen waren überzeugt, dass es für die Familien an der Zeit war, wieder auf eigenen Beinen stehen zu können. «Leider ist die wirtschaftliche Situation derzeit so katastrophal, dass die Menschen uns inständig baten, ihnen wieder mit Lebensmittelpaketen zu helfen», erklärt Antaki und ergänzt, dass gemäss UNO-Welternährungsprogramm etwa 60 Prozent der Syrer keinen Zugang zu genügend Lebensmitteln hätten.

Sanktionen des «heuchlerischen» Westens

Nach zehn Jahren Konflikt seien die Syrer müde vom Warten auf das Licht am Ende des Tunnels. Dafür seien auch die «ungerechten und illegalen europäischen und amerikanischen Sanktionen» verantwortlich. Diese würden jeden Versuch, die Wirtschaft in Gang zu bringen, im Keime ersticken. Dazu Antaki: «Die Sanktionen verhindern den Handel und verbieten alle Wiederaufbauprojekte. Europäische Beamte behaupten zynisch, dass die Sanktionen nur die Machthaber treffen und keine Medikamente oder Lebensmittel tangieren. Reine Heuchelei: Wenn die Bankkonten aller Syrer eingefroren sind und ein syrischer Bürger keine Finanztransaktionen durchführen kann, wie kann man die von den Sanktionen ausgenommenen Produkte kaufen?»

Und da viele Produkte aus der Türkei oder dem Libanon eingeschmuggelt werden, werden sie auf dem Schwarzmarkt zu exorbitanten Preisen verkauft. Dies führe noch mehr zur Verarmung der Bevölkerung und Bereicherung der Profiteure des Krieges.

Unmissverständlich fordert der CSI-Partner aus Aleppo die Aufhebung der westlichen Wirtschaftssanktionen. Schliesslich sind sie eine kollektive Bestrafung der syrischen Zivilbevölkerung. Die Genfer Konventionen, so Antaki, würden die Sanktionen nämlich als «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» qualifizieren.

Reto Baliarda

Haben Sie die Online-Petition für die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien schon unterschrieben?

Nabil Antakis ungekürzten Brief aus Aleppo finden Sie hier.

 

Ihr Kommentar zum Artikel

Wir freuen uns, wenn Sie hierzu eine Rückmeldung oder Ergänzung haben. Themenfremde, beschimpfende oder respektlose Kommentare werden gelöscht.


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.

Kommentar erfolgreich abgesendet.

Der Kommentar wurde erfolgreich abgesendet, sobald er von einem Administrator verifiziert wurde, wird er hier angezeigt.