Das sagen die Parteipräsidenten zu den Sanktionen

Seit acht Jahren sind Sanktionen gegen Syrien in Kraft, die so breit sind, dass sie der unschuldigen Zivilbevölkerung ein würdiges Leben verunmöglichen. Auch die Schweiz trägt die Sanktionen mit. Der Bundesrat will die Folgen nicht überprüfen.

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Drei syrische Kirchenführer wandten sich im August 2016 in einem eindringlichen humanitären Appell an die Öffentlichkeit: «Stoppen Sie die Belagerung des syrischen Volkes! Heben Sie die internationalen Sanktionen gegen Syrien auf und ermöglichen Sie diesem Volk ein menschenwürdiges Dasein!» Der Hilfeschrei verhallte ungehört.

Auf bisher zehn Syrien-Reisen wurde John Eibner von CSI Zeuge, wie die Bevölkerung wegen der Sanktionen leidet: «Die internationalen Sanktionen gegen Syrien sind so breit, dass sie ganze Wirtschaftssektoren inklusive Zahlungssystem lahmlegen und das Überleben der ganzen Bevölkerung gefährden. Sie wirken als Kollektivstrafe.»

Der Bundesrat anerkennt «negative Konsequenzen» der Sanktionen für die Zivilbevölkerung (alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann in einem Brief an CSI vom 31.01.17). Er will jedoch nichts dagegen tun. Zu gross ist die Furcht vor Strafmassnahmen der USA. «Das Problem liegt in Washington, nicht in Bern. Wir mögen Sanktionen ebenfalls nicht», sagte ein hoher Bundesbeamte zu CSI. Der Bundesrat lehnte selbst einen Bericht zu den Folgen der Sanktionen ab, wie das SP-Nationalrat Mathias Reynard mit 14 Mitunterzeichnenden aus SP, SVP, FDP und EVP gefordert hatte (Postulat 18.3309). So trägt die Schweiz weiterhin völkerrechtswidrige Sanktionen mit, die zur Verelendung und Emigration der Bevölkerung führen und den Wiederaufbau Syriens verhindern.

Diese Leute leiden unter den Sanktionen

Medienberichterstattung zu CSI, unter anderem auch zu den Sanktionen


Zwei Fragen an die Präsidien von neun Schweizer Parteien

1    Seit 2011 / 2012 sind gegen Syrien drakonische Sanktionen in Kraft, die nicht von der UNO legitimiert sind. Der Bundesrat lehnt nicht nur eine Anpassung seiner Sanktionspolitik, sondern auch eine genaue Überprüfung der Auswirkungen auf die syrische Zivilbevölkerung ab. Wie ist Ihre Haltung zu den Sanktionen gegen Syrien und zur Position des Bundesrats?

2   Was tut Ihre Partei für die Syrerinnen und Syrer, insbesondere in Syrien selbst?

Die Umfrage wurde im September / Oktober 2018 durchgeführt. Die Antworten sind nach der Parteigrösse geordnet gemessen an der Anzahl Nationalratsmitglieder.


SVP-Nationalrat Luzi Stamm im Auftrag von SVP-Präsident Albert Rösti

1    Sanktionen in Ländern wie Syrien sind illegal, die Schweiz sollte sich nicht daran beteiligen! (…) Es ist schwer zu ertragen, dass der Westen in den letzten 30 Jahren zunehmend versucht(e), mit Kriegen und Sanktionen unliebsame Regierungen zu stürzen. In den 90erJahren begannen die Interventionen im Irak. Das Land wurde boykottiert; angeblich sind während dieser Zeit bis zu einer Million Menschen gestorben, die Hälfte davon Kinder. 2003 folgte der offene Angriff auf den Irak durch die «Koalition der Willigen». Die Bombardierungen wurden mit dem Argument geführt, das Land stelle Massenvernichtungswaffen her, was sich als eine blanke Lüge herausstellte. Es folgten Angriffe auf Länder wie Libyen und Syrien, die ebenfalls krass völkerrechtswidrig waren. (…) Wir sollten uns auf unsere traditionelle Rolle der Neutralität konzentrieren, statt uns an den von den USA oder der EU gesteuerten Strafmassnahmen zu beteiligen und zu deren Handlangern zu werden.

2    Teil der Hilfe durch die Schweiz könnte sein, endlich dafür zu sorgen, dass bei der Auswahl von Flüchtlingen eine einigermassen nachvollziehbare Auswahl getroffen wird. (…) Das Schweizer Prinzip «Neutralität, Solidarität und Disponibilität» wurde von links bis rechts über Jahrzehnte mitgetragen. Es entsprach der historischen humanitären Tradition der Schweiz, nicht schulmeisterlich mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern zu helfen (Paradebeispiel via Rotes Kreuz) und die guten Dienste anzubieten (zum Beispiel Genf als Verhandlungsort zur Verfügung zu stellen).

Hier finden Sie die ungekürzte Fassung der Antwort von Luzi Stamm


SP-Präsident Christian Levrat

1    Die SP unterstützt im Grundsatz die sehr gezielten Sanktionen, welche die EU und die Schweiz gegen die syrischen Verantwortlichen an furchtbaren Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhängt haben. Im Unterschied zu jenen der USA handelt es sich bei jenen der EU und der Schweiz keineswegs um «drakonische» Sanktionen. Vielmehr werden allein eindeutig identifizierte Kriegsverbrecher sanktioniert (…) Ferner betreffen die Sanktionen Massnahmen, die weitere Waffenlieferungen an die syrischen Kriegsverbrecher verhindern sollen. (…) Die SP hat den Bundesrat mehrfach aufgefordert, alles daran zu setzen, damit (…) die humanitären Hilfeleistungen unterschiedslos an die gesamte notleidende syrische Bevölkerung gelangen können. (…). Dabei ist die SP überzeugt, dass das Leben der Syrerinnen und Syrer nicht vorab durch die gezielten Sanktionen gegen die syrischen Kriegsverbrecher beeinträchtigt wird, sondern durch die Brutalität der Kriegsführung von Bashar al-Assad, seinem Regime und seinen russischen und iranischen Verbündeten gegen das eigene Volk sowie aufgrund der Unterstützung, welche die reaktionären Golfmonarchien und die Türkei den sunnitischen Extremisten in Syrien gewähren. Diese Kriegsverbrecher haben Syrien zerstört und weigern sich, in den zurückeroberten Gebieten den Wiederaufbau zu finanzieren.

2    Die Syrienpolitik der SP hat vier Pfeiler: Sofortige Waffenruhe und Einleitung einer politischen Friedenslösung unter Einbezug aller Parteien; Kampf der Straffreiheit durch konsequente Dokumentierung aller Kriegsverbrechen; Ausweitung der humanitären Hilfe und Öffnung zusätzlicher Kanäle, damit alle Bedürftigen mit dieser Hilfe tatsächlich erreicht werden; Stopp sämtlicher Waffenlieferungen an alle Kriegsparteien, die in Syrien aktiv sind. (…)

Hier finden Sie die ungekürzte Fassung der Antwort von Christian Levrat


FDP-Präsidentin Petra Gössi

1    (…) Die Sanktionen der Schweiz betreffen militärische und technologische Güter sowie Finanz- und Reisesanktionen. Der Bundesrat hält klar fest, dass die Sanktionen nicht negative humanitäre Auswirkungen zeitigen sollen, was auch die FDP klar unterstützt. Das Ziel der Sanktionen ist politisch: Das Regime soll zu einer politischen Lösung des Konflikts bewogen werden. (…) Humanitäre Hilfsaktionen sollen nicht behindert werden, Nahrungsmittel und Medikamente unterstehen nicht den Sanktionen. Darum unterstützen wir die Einschätzung und Massnahmen des Bundesrats. (…) Verantwortlich für das unermessliche Leid der syrischen Bevölkerung sind in erster Linie der syrische Machthaber sowie andere im Bürgerkrieg involvierte Gruppen, die Gräueltaten an der Zivilbevölkerung verüben. Die Sanktionen sind nicht die Ursache für das Leid der syrischen Bevölkerung, sondern die Antwort darauf.

2    Für uns ist die Hilfe vor Ort wichtig, weshalb wir uns auch in der Beratung der IZA-Botschaft für eine Stärkung der Hilfe vor Ort und der humanitären Hilfe eingesetzt haben. Der Bundesrat hat in den letzten Jahren mehrfach die Aufnahme von besonders verwundbaren Personen beschlossen, was die FDP unterstützt.

Hier finden Sie die ungekürzte Fassung der Antwort von Petra Gössi


CVP-Präsident Gerhard Pfister

1    In einer derart schwierigen, unübersichtlichen und komplexen Kriegslage ist es enorm schwierig, politisch das Richtige zu tun. Sanktionen gegenüber dem Regime Assad lassen sich durchaus rechtfertigen, scheute dieses Regime ja nicht vor Giftgasattacken gegen die eigene Bevölkerung zurück. Auf der andern Seite ist von Sanktionen auch, manchmal sogar vor allem, die Zivilbevölkerung betroffen. Die Emigration aus Syrien ist aber meines Erachtens primär eine Folge des schrecklichen Kriegs, nicht der Sanktionen. (…) Zentral muss für die Schweiz der neutrale, humanitär orientierte Einsatz der Ressourcen sein.

2    Die CVP unterstützt sämtliche Massnahmen für die Hilfe vor Ort. Sie setzt sich auch dafür ein, dass besonders gefährdete Menschen wie Frauen und Kinder, die oft nicht in der Lage sind, das Land zu verlassen, unterstützt werden. (…) Die CVP unterstützt auch alle Massnahmen, die zur Verbesserung der Situation in den Flüchtlingscamps beitragen. Zu den besonders Gefährdeten gehören leider auch Christen, die aufgrund ihrer Religion verfolgt und an Leib und Leben bedroht sind. Die CVP forderte schon lange, dass im Rahmen sogenannter Resettlement-Programme Christen besser geschützt werden sollen.

Hier finden Sie die ungekürzte Fassung der Antwort von Gerhard Pfister


Grüne-Präsidentin Regula Rytz

Keine Reaktion


BDP-Präsident Martin Landolt

Herzlichen Dank für Ihre Fragen. Leider fehlen uns die notwendigen Detailkenntnisse, um dazu kompetent Stellung zu nehmen.


GLP-Präsident Jürg Grossen

Vielen Dank für Ihre Anfrage. Wir verzichten auf eine Stellungnahme.


EVP-Präsidentin Marianne Streiff

1        (…) Die Sanktionen wirken aus Sicht der EVP Schweiz als Kollektivstrafe gegen das syrische Volk, das so für die Taten seiner Regierung büssen muss. (…) Aus Sicht der EVP Schweiz haben die Sanktionen keine Verbesserungen für das syrische Volk erreichen können. Stattdessen mehren sich die Hinweise darauf, dass sie massgeblich zur Abwertung der syrischen Währung, zur Arbeitslosigkeit, zum Zusammenbruch des öffentlichen Gesundheitswesens und damit zur Massenauswanderung nach Europa und in die Nachbarländer beitragen. Die EVP Schweiz ist daher der Meinung, dass der Nutzen der Wirtschaftssanktionen zusammen mit den Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung dringlichst überprüft werden muss.

2    Bereits im März 2017 hat unsere damalige Nationalrätin Maja Ingold eine Interpellation (17.3061) zur Überprüfung der humanitären Folgen der Wirtschaftssanktionen gegen Syrien eingereicht. Sie fordert darin, dass der Bundesrat die humanitäre Tradition der Schweiz bei der Beurteilung der Sanktionen in die Waagschale wirft und gegen den beabsichtigten, aber offensichtlich nicht erreichten Nutzen abwägt. (…) Die Parlamentarier der EVP unterstützen seither alle sinnvollen parlamentarischen Anstrengungen, um die Situation der syrischen Zivilbevölkerung zu erleichtern.

Hier finden Sie die ungekürzte Fassung der Antwort von Marianne Streiff


EDU-alt-Nationalrat Markus Wäfler im Auftrag von EDU-Präsident Hans Moser

1    (…) Natürlich treffen die Schilderungen der Auswirkungen der westlichen Sanktionen auf die syrische Bevölkerung zu, aber das ist zu 100 % das Verdienst und Resultat des Terror-Regimes Assad. (…) Das Assad-Regime ist natürlich daran interessiert, dass der Westen das von ihm selber zusammengebombte Volk wieder aufpäppelt. Und dazu zeigt man noch so gerne einem blauäugigen, naiven UNO-Sonderberichterstatter gnädigerweise das angeblich unter den westlichen Sanktionen leidende syrische Volk. (…) Die EDU lehnt allgemeine Sanktionen ab – egal ob von der UNO oder nicht –, weil solche Sanktionen immer primär die Versorgungslage der Bevölkerung treffen, wie z.B. im Iran, Syrien, etc. Die EDU befürwortet jedoch gezielte wirksame Sanktionen gegen Personen, resp. politisch Verantwortliche für angeprangerte Missstände in Entwicklungsländern, Iran, Syrien, usw.

2    Wir befürworten massive humanitäre Hilfe für die syrische Zivilbevölkerung, allerdings nur unter der Bedingung, dass diese durch unabhängige Organisationen unter der Bevölkerung verteilt wird und nicht durch Organe des Regimes Assad. (…) Die EDU macht direkt nichts für / in Syrien, weil es nicht Aufgabe einer politischen Partei ist, sich direkt in Konflikten einzumischen, nur um zu zeigen «wie gut» man ist. Indirekt informiert die EDU in ihrer Zeitung «EDU-Standpunkt» regelmäs­sig in fundierten Artikeln über Themen rund um den Nahen Osten. (…)

Hier finden Sie die ungekürzte Fassung der Antwort von Markus Wäfler


Die Syrien-Sanktionen, die UNO und die Schweiz

Bei den Sanktionen gegen Syrien handelt es sich um sogenannte unilaterale Sanktionen – Zwangsmassnahmen, die einseitig ergriffen werden, ohne dass ein Beschluss des UNO-Sicherheitsrats vorliegt. Unilaterale Sanktionen werden häufig von den USA verhängt, um einen Regierungswechsel zu erzwingen.

Die UNO-Generalversammlung lehnt unilaterale Sanktionen ab. Sie hat zur Untersuchung von deren Auswirkungen auf die Menschenrechte mit Idriss Jazairy sogar einen Sonderberichterstatter eingesetzt. Im Mai 2018 reiste dieser für Abklärungen nach Syrien. Er zeigte sich «zutiefst besorgt»: «Weil sie so umfassend sind, haben die Massnahmen verheerende Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft und den Alltag der ganz gewöhnlichen Leute.» Es mangle wegen der Sanktionen an Ersatzteilen für medizinische Apparate, Strom- und Wasserversorgung, Traktoren, Ambulanzen, Busse und Fabriken. Jazairy forderte: «Es muss einen ernsthaften Dialog geben über die Reduktion der einseitigen Zwangsmassnahmen (…) mit dem Ziel, diese aufzuheben.»

Die Schweiz hat sich verpflichtet, UNO-Sanktionen automatisch zu übernehmen. Bei unilateralen Sanktionen liegt es im Ermessen des Bundesrats, ob die Schweiz sich anschliesst. Üblicherweise folgt die Schweiz der EU, die ihrerseits den USA folgt. Im Falle Russlands hat sich der Bundesrat den Sanktionen nicht angeschlossen, erliess aber Massnahmen, damit Russland die Sanktionen nicht via Schweiz umgehen kann.

Adrian Hartmann

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