29. Mai 2016

Flucht aus Aleppo – um jeden Preis

Der Krieg in der syrischen Grossstadt Aleppo bedeutete für Dersimas Familie einen monatelangen Überlebenskampf. Dank einem Jobangebot wagte die kurdische Familie die Flucht an die Mittelmeerküste. Trotz der grossen Herausforderungen bleibt Syrien Dersimas Heimat.

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Sie hat einen langen Leidensweg hinter sich. Dennoch hat Dersima* ihr Lächeln nicht verloren. Zuversicht schenkt ihr zudem die Begegnung mit Schwester Sara. Der CSI-Partnerin kann die dreifache Mutter ihr Herz ausschütten. Denn das aufmerksame Zuhören ist sich Schwester Sara gewohnt.

Gefangen zwischen Konfliktzonen

Dersimas Familie stammt ursprünglich aus Afrin, einer Stadt an der Grenze zur Türkei. 2009 zügelte sie nach Al Ashrafie, einem mehrheitlich von Kurden bewohnten Stadtteil Aleppos. «Mein Mann Delal* hatte dort sein eigenes Schneider-Atelier. Es ging uns allen sehr gut», blickt sie mit Wehmut auf zwei glückliche Jahre zurück. Das unbeschwerte Familienleben fand mit dem Ausbruch der Krise im April 2011 sein abruptes Ende. «Bewaffnete Leute, die wir als die ‹Freie Syrische Armee› kannten, beschossen unser Wohnquartier Al Ashrafie mit Mörsergranaten. Wir flohen nach Sheikh Maksoud, einem anderen kurdischen Stadtteil Aleppos, wo auch meine Schwiegereltern wohnten.»

Doch nach wenigen Monaten relativer Sicherheit brachen die Unruhen auch am neuen Wohnort aus, und zwar in voller Wucht. Sheikh Maksoud wurde durch die Rebellen noch heftiger beschossen als zuvor Al Ashafrie. Dersimas Familie war im Kriegsgebiet zwischen den Fronten, was eine erneute Flucht verunmöglichte. Es folgten die schwersten sechs Monate ihres Lebens, in denen die Familie von der Elektrizitäts- und Wasserversorgung abgeschnitten war.

Am schlimmsten war die Nahrungsmittelknappheit, welche die Not existentiell werden liess. «Zwei Monate gab es überhaupt kein Brot. Ich musste Hustensirup kaufen und gab es meinen hungernden Kindern als Beruhigungsmittel, damit sie schlafen konnten.»

Lebensgefährliche Suche nach Essbarem

Grosse Angst hatte Dersima vor allem, wenn ihr Ehemann Delal das Haus verliess, um Esswaren für die Familie zu suchen. «Praktisch jeden Tag riskierte er sein Leben, wenn er nachts durch die Strassen schlich, um für uns etwas zu essen zu finden.» Kommt dazu, dass die Angriffe auf Sheikh Masoud zunahmen und das Viertel mit der Zeit täglich beschossen wurde. Die Angst wurde bei Dersima immer grösser. «Wir bangten ständig um unser Leben, fürchteten uns, dass es uns jederzeit treffen könnte.»

Flucht als neue Chance

Eine Wende zum Besseren nahm das Leben der kurdischen Familie, als Delal im Oktober 2011 ein Jobangebot an der Mittelmeerküste erhielt und sich die Lage in Aleppo etwas beruhigt hatte. Er reiste alleine dorthin, um sich am neuen Ort einzuleben. Dersima war in dieser Zeit dafür verantwortlich, ihre Familie zu ernähren. Sie veräusserte ihren Schmuck. Mit dem Erlös kaufte sie vor allem Mehl, um Brot zu backen. Den Rest des Geldes brauchte sie im Dezember 2011 auf, indem sie die Flucht an die Mittelmeerküste bezahlte.

Am neuen Ort angelangt, konnte Dersima erst einmal durchatmen. Ihr Ehemann Delal kann mit seinem Einkommen als Hilfsarbeiter die Familie zwar eher schlecht als recht über Wasser halten. Doch die Kurdin ist dankbar, nach monatelang ausgestandener Todesangst an einem sicheren Ort leben zu können.

Wirklich zur Ruhe kommen konnte Dersima jedoch auch in den letzten Jahren nicht. Zu gross war ihre Sorge um ihre Mutter, die sich bis vor einigen Wochen noch im Kriegsgebiet befand. «Meine Mutter reiste extra von Afrin nach Aleppo, um in unserem Haus nach dem Rechten zu sehen.» Sie fand es halb zerstört und geplündert vor. Fünf Tage später fiel sie vor Entsetzen in Ohnmacht. Ein Junge, der ihr täglich Essen vorbeigebracht hatte, wurde von einer Granate getötet. Der Anblick der zerfetzten Leiche war zuviel für sie.

Nachbarn hatten Dersima über dieses schreckliche Ereignis ins Bild gesetzt. «Ich wusste sofort, dass ich meine Mutter aus Aleppo herausholen musste, obwohl ich mir der Gefahren dieser beschwerlichen Reise bewusst war. Ich bin dankbar, meine Mutter bei uns zu haben.» Allerdings wirke sie bis heute verstört. Der schreckliche Vorfall in Aleppo hat sie aus der Bahn geworfen.

Silberstreifen am Horizont

Natürlich hofft Dersima, dass sich ihre traumatisierte Mutter erholen kann. Ebenso hofft sie auf ein besseres Leben für ihre Familie. «Was wir erleben mussten, ist einfach nur schrecklich.» Die dreifache Mutter ist froh, dass sie in ihrer neuen Heimat Schwester Sara und deren Team kennenlernen konnte. «Ich schätze den Kontakt zu Schwester Sara sehr. Die Gespräche mit ihr geben mir viel Kraft und Mut.» So steigt auch die Zuversicht auf eine Zukunft in Syrien, ihrem Land, in welchem sie trotz allem bleiben möchte: «Wir sind Kurden und lieben unsere Heimat Syrien.»

Reto Baliarda

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Frauen helfen Frauen

Am 21. März 2016 wurde in Syrien der Muttertag gefeiert. Für diesen Tag hatten Schwester Sara und ihr Team 100 Frauen aus verschiedenen Glaubensrichtungen zu einem grossen Fest eingeladen. Teil des Festprogramms war eine Informationsveranstaltung zum Thema Brustkrebs. In ihren Dank an die Unterstützer für ihre Projekte schloss Schwester Sara vor allem die überkonfessionelle Hilfe von CSI ein. Mit einem Imbiss und dem gemeinsamen Ziel, alle 14 Tage einen Info-Nachmittag zu einem bestimmten Thema für Frauen durchzuführen, fand das festliche Frauentreffen seinen Ausklang.

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