22. April 2014

In Angst und Schmerz Hoffnung verbreiten

Mitten im Kernland der Taliban trauern Christen um ihre ermordeten Familien und Freunde, die bei dem Anschlag auf die Allerheiligenkirche in Peschawar ums Leben kamen. Für die Überlebenden ist der Alltag ein täglicher Kampf gegen die Angst.

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«Es steht in der Bibel, dass wir für unseren Glauben leiden müssen», sagt Fehmida. In ihrem Zimmer ist es kalt; vom Hindukusch weht ein eisiger Wind ins Tal herab und lässt es in Peschawar empfindlich kalt werden. Die 50-jährige Lehrerin weiß, wovon sie spricht. Am 22.   September 2013 war der Gottesdienst in der anglikanischen Allerheiligenkirche in Peschawar gerade zu Ende und im Kirchhof gab es eine Essensausgabe. Etwa 600 Gottesdienstbesucher befanden sich auf dem Platz, als zwei Selbstmordattentäter ihre Sprengsätze zündeten. Der Anschlag auf die Allerheiligenkirche in Peschawar war der blutigste, den die Taliban je in Pakistan verübt hatten. Seither ist Fehmida ein Pflegefall. Aus ihrem linken Bein ragen Metallstäbe, die es stabilisieren sollen. Sie wurde so stark verletzt, dass sie selbst ein halbes Jahr nach dem Anschlag noch kaum aufstehen kann.

Alle paar Tage kommt Parveen vorbei, eine der Krankenschwestern, die CSI damit beauftragt hat, die Opfer zu Hause zu versorgen. Parveen wechselt Verbände und verabreicht Medizin. Fehmida war Englischlehrerin an einer christlichen Schule. Sie war sehr beliebt, an der Wand hängen Grußkarten mit Genesungswünschen von Schülern und Kollegen. Auf einer Karte steht: «Schmerz stärkt den Mut. Man kann nicht mutig sein, wenn einem nur wunderbare Dinge widerfahren. Möge Jesus Christus alle Ihre Wunden heilen und Ihnen ein mutiges Herz und neue Hoffnung schenken.» Viele von Fehmidas Schülern waren an jenem schicksalhaften Tag auch in der Kirche und wurden schwer verletzt. Mehr als 120 Gottesdienstbesucher starben. Unter den Todesopfern waren auch Fehmidas Ehemann William Ghulam, Leiter einer staatlichen Schule, ihre Tochter Mirab und ihr Sohn Noel. Sie waren ihr ganzer Stolz. Beide studierten Medizin, Noel stand kurz vor seinem Abschluss. Fehmida holt einige fest zusammengerollte Bilder hervor. Landschaften, winterliche Stras- senszenen in Paris, ein Segelboot im Sonnenuntergang – Zeugnis der Träume und Wünsche eines jungen Menschen. «Noel hat sie gemalt», sagt Fehmida und zieht ein Blatt hervor. Man sieht eine Hand, die sich aus dem Dunkel heraus nach oben ins Licht streckt. Von dort reicht eine zweite Hand herunter, mit einem blutigen Nägelmal in der Handfläche – Zeugnis des Glaubens, für den Noel sein Leben lassen musste.

Sehrish: schwer verletzt überlebt

Auch die junge Sehrish begrüßt uns in gutem Englisch. Das Gesicht der 14-jährigen Schülerin ist blass. Sehrish und ihre Geschwister stehen allein in der Welt: Ihr Vater starb schon vor Jahren, bei dem Bombenanschlag verlor sie nun auch noch ihre Mutter Nasreen, die im Krankenhaus ihren Verletzungen erlag.

Sehrish war an jenem Tag ebenfalls in der Kirche und wurde beim Anschlag lebensgefährlich verletzt. Die letzten fünf Monate hat sie im Bett verbracht: Wegen schwerer innerer Verletzungen musste sie mehrfach operiert werden und bekam einen künstlichen Darmausgang. Immer noch leidet sie an starken Schmerzen. Es ist ein Wunder, dass sie ihre Verletzungen überleben konnte. Ihre Hand zittert unkontrolliert, als sie uns den großen Splitter zeigt, der aus ihrem Gesicht entfernt wurde. Sehrish macht sich Sorgen, ihren Geschwistern zur Last zu fallen; es ist einfach nicht genügend Geld da, um all die medizinischen Kosten zu begleichen.

CSI setzt für die teure medizinische Versorgung von Bombenopfern wie Sehrish über 120  000 Franken ein. Wo medizinische Hilfe noch möglich ist, wollen wir dazu beitragen, dass auch mittellose Christen ein möglichst selbstständiges Leben ohne körperliche Schmerzen führen können – der Schmerz wegen getöteter Angehöriger wird sie wohl ein Leben lang begleiten.

Ständige Bedrohung

Zu Schmerz und Sorgen hinzu kommt die Angst vor weiteren Anschlägen. Die islamistischen Taliban sind eine Bedrohung, die immer präsent ist. Nach dem Anschlag auf die Kirche kündigten die Taliban weitere Anschläge an: «Die Christen sind Feinde des Islams und Pakistans. Deswegen haben wir sie angegriffen und wir werden auch weiterhin Nichtmuslime in Pakistan angreifen», sagte Ahmadullah Marwat, ein Sprecher der Terrorgruppe. Keine leere Drohung: In der Woche nach dem Anschlag auf die Kirche gingen in Peschawar zwei weitere Bomben hoch, weitere 52 Menschen verloren ihr Leben. Im Februar 2014 wurden bei einem Anschlag auf ein Kino mindestens 12 Menschen getötet, im März 2014 starben weitere sieben Menschen, als eine Bombe in einem Vorort hochging. Zu den Hauptopfern der Taliban zählen neben den Christen auch Schiiten, andere Muslime, die sich für Frieden einsetzen und unliebsame Politiker und Staatsangestellte. Ein Christ im Kernland der Taliban zu sein, bedeutet ein Leben in ständiger Angst und Alarmbereitschaft. Trotzdem hat Sehrish die Hoffnung nicht aufgegeben. Sie erzählt uns von ihrem Traum: «Ich möchte Ärztin werden und den Menschen helfen.»

Autoren: Gunnar Wiebalck | Luise Fast

 


 

Peschawar – Die Stadt der Taliban

Peschawar liegt am Fuß des sagenumwobenen Khaiber-Passes nahe der Grenze zu Afghanistan. Mehr als 2,5 Millionen Menschen leben hier; viele von ihnen sind afghanische Flüchtlinge aus drei Kriegsjahrzehnten oder Bewohner der Bergregionen, die vor der Gewalt flohen und sich in den Slums um den Stadtkern herum angesiedelt haben.

Die Berge am Khaiber-Pass sind Kernland und Rückzugsort der Taliban, die sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan aktiv sind. Seit einiger Zeit betreiben die Taliban in Peschawar eine regelrechte Kampagne der Einschüchterung und Gewalt.

Sie verbreiten Propaganda, rekrutieren Nachwuchs in den Madrassas (Koranschulen) und verüben Anschläge. Im Gewir der Schluchten und Täler im Grenzgebiet finden sie Unterschlupf und trainieren ihre Dschihad-Kämpfer. Viele fürchten, dass der bevorstehende Abzug der Amerikaner aus Afghanistan auch die pakistanische Taliban stärken könnte.

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