10. Oktober 2014

IS und der Westen – Religiöse Vielfalt in Gefahr

Der „Islamische Staat“ ist ein „Kind des Kriegs“ von 2003 und hat seine ideologische Basis im Wahhabismus, dessen Verbreitung und Erstarkung der Westen nicht verhindert hat, sagte der Nahostexperte Patrick Cockburn an einem Anlass von Christian Solidarity International. Wo der Wahhabismus stark ist, sind die religiösen Minderheiten gefährdet.

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Der Islamische Staat (IS) überrannte im Juni – von Syrien herkommend – einen grossen Teil des Iraks und beherrscht heute ein Gebiet von der Grösse Frankreichs. Präsident Obama begann im August mit der Bombardierung des IS im Irak mit dem Ziel, ihn „zu schwächen und zu zerstören“, und dehnte die Bombardements im September auf Syrien aus. Ohne Erfolg: „Der IS wird nicht nur nicht geschwächt und zerstört, sondern dehnt sich sogar weiter aus“, stellte der bekannte Journalist und Buchautor Patrick Cockburn fest. Das sei für den IS psychologisch von grossem Nutzen und demoralisiere seine Gegner.

40 Jahre Radikalisierung führen zum Ende der religiösen Vielfalt

Etwas Neues ist der religiöse Fanatismus des IS nach Cockburn nicht: In den letzten 40 Jahren sei die fanatische Islamvariante aus Saudi-Arabien – der Wahhabismus – zur dominierenden Ideologie innerhalb des sunnitischen Islams geworden. Damit finde auch die religiöse Vielfalt in der Bevölkerung ein Ende, die ihm 1977 auf seiner ersten Reise nach Bagdad – und später auch in Syrien – sehr positiv aufgefallen war. „Diese religiöse Vielfalt kommt jetzt zu ihrem Ende. Christen fliehen, Jesiden sind auf der Flucht, andere Minderheiten sind verschwunden und es wird schwierig, diese Entwicklung aufzuhalten.“ Auch andere Ausprägungen des Islams toleriert der Wahhabismus nicht: „Früher sahen Sunniten in den Schiiten eine andere Art Muslime, heute gelten sie nicht einmal mehr als Muslime.“

Halbherziger Kampf gegen IS

Der Wahhabismus, Geld und Waffen aus den Golfstaaten haben den Aufstieg von IS erst ermöglicht. „In vielerlei Hinsicht bringt der IS den saudischen Wahabismus lediglich zu seiner logischen und höchst gewalttätigen Vollendung“, sagte Cockburn. Saudi-Arabien sei denn auch nicht willens, den IS wirksam zu bekämpfen – wie viele weitere der 44 Staaten, die Obama im Kampf gegen IS hinter sich versammelt hat. Bemerkenswert ist, dass die Kräfte, die den IS tatsächlich bekämpfen – syrische Kurden, die syrische Armee, die Hisbollah, schiitische irakische Milizen -, gar nicht einbezogen wurden.

Widerstand gegen die Verbreitung des Wahhabismus gab es in den letzten Jahrzehnten von westlicher Seite kaum. Ein wichtiger Grund dafür ist Saudi-Arabiens Reichtum, sagte Cockburn. Für die USA geht es beim Waffenexport an Saudi-Arabien um einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag.

Was ist zu tun?

„Ich glaube nicht an eine [kurzfristige] Lösung, der Hass gegeneinander ist zu gross“, zog Cockburn Bilanz. Der erste und wichtigste Schritt wäre aber ein Waffenstillstand in Syrien. Erst dann könne man überhaupt mit Gesprächen über eine längerfristige Lösung beginnen. Dass Präsident Assad abdanke, dürfe nicht Vorbedingung von Gesprächen sein: „Das ist ein sicheres Rezept, um den Krieg weiterzuführen.“

Weitere Infos

Patrick Cockburn bereist den Nahen Osten seit den 1970er Jahren und hat für seine journalistische Arbeit prestigeträchtige Preise gewonnen wie etwa den Orwell Price for Journalism und den Foreign Correspondent of the Year Award. Kürzlich erschien sein neues Buch „The Jihadis Return: ISIS and the New Sunni Uprising“.

Patrick Cockburns Vortrag „Das IS-Kalifat und die Kriege des Westens in Syrien und im Irak – Eine Kampfansage an die religiöse Vielfalt im Nahen Osten“ war der elfte in der CSI-Reihe „Die Zukunft der religiösen Minderheiten im Nahen/Mittleren Osten“. Alle Vorträge sind auf Video verfügbar (englisch): www.middle-east-minorities.com

Interview im Tages-Anzeiger vom 10. Oktober 2014

Sendung von Radio Top, 9. Oktober 2014

Video von Cockburns Vortrag (englisch)

 

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