31. August 2017

Pastor ohne Haftbefehl im Gefängnis

Der in der Türkei lebende US-Pastor Andrew Brunson sitzt seit bald einem Jahr ohne Haftbefehl im Gefängnis. Die türkischen Behörden werfen ihm Verbindungen zu Terrororganisationen vor, liefern jedoch bisher keine Beweise.

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23 Jahre lang arbeitete der dreifache Familienvater Andrew Brunson als Pastor der freikirchlichen Auferstehungsgemeinde in Izmir. Die Familie aus dem US-Staat North Carolina hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Die Brunsons waren wohlgelitten. Dazu Tochter Jacqueline: «Es ist das Lebenswerk meines Vaters, die Menschen zu lieben und ihnen zu helfen. Das war auch sein Plan für den Rest seines Lebens. Er hatte nicht vor, die Türkei jemals wieder zu verlassen.»

In der Türkei gibt es einige Dutzend ausländischer Pastoren wie Andrew Brunson. Ihre Arbeit ist nicht ungefährlich. Am 18. April 2007 wurden der deutsche Pastor Tilman Geske und zwei einheimische Mitarbeiter brutal ermordet. Pastor Andrew selbst wäre im Frühjahr 2011 beim Verlassen einer Kirche beinahe Opfer eines Anschlags geworden.

Eingesperrt ohne Haftbefehl

Nichts Böses ahnend, wurden Andrew Brunson und seine Ehefrau Norine am 7. Oktober 2016 in Izmir von der Polizei vorgeladen. Dort wurden sie zu ihrer Überraschung in Ausschaffungshaft genommen. Während Norine am 20. Oktober entlassen wurde und eine verlängerte Aufenthaltsgenehmigung erhielt, blieb ihr Mann bis zur Gerichtsanhörung vom 9. Dezember 2016 in Gewahrsam.

Erst an diesem Tag wurde Andrew Brunson dem Haftrichter vorgeführt und für unbestimmte Zeit in ein Untersuchungsgefängnis überstellt. Gegenwärtig sitzt er in einer gefüllten Zelle mit 21 anderen Gefangenen. 63 Tage konnte er keinen Besuch seines türkischen Anwalts empfangen. Dies ist inzwischen zwar möglich. «Doch die Besuche werden von der Gefängnisaufsicht aufgezeichnet», so das Amerikanische Zentrum für Gesetz und Recht (ACLJ), das Andrew Brunsons Frau Norine vertritt und das sich für die Freilassung des Pastors einsetzt. Nach anfänglicher Verweigerung kann nun auch Norine ihren Mann in beschränktem Umfang besuchen.

Was steht hinter den Anschuldigungen?

Die türkischen Behörden behaupten, dass Andrew Brunson eine Gefahr für die nationale Sicherheit sei. Ihm werden Verbindungen zum islamischen Prediger Fethullah Gülen angelastet, der für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich gemacht wird und seit 20 Jahren im US-Staat Pennsylvania lebt. Das türkische Blatt «Yeni Asir» meint, Brunson sei von Gülen bezahlt worden. Und die Zeitung «Takvim» erklärte den Pastor zum Agenten des amerikanischen Geheimdienstes CIA und Drahtzieher des Putschversuches. Im Weiteren soll Brunson der PKK moralische und finanzielle Unterstützung geleistet haben. Die Zeitung «Takvim» gehört dem türkischen Energieminister Berat Albayrak, dem Schwiegersohn von Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Die zuständigen Anwälte von ACLJ haben alle Kontakte des Pastors überprüft, die in irgendeiner Form mit dem Putschversuch oder mit Terrorismus in Verbindung gebracht werden könnten. Sie sties­sen auf keinen Verdacht. Auch Tochter Jacqueline weist die Anschuldigungen als absurd zurück: «Diese Vorwürfe passen in keiner Weise dazu, wer mein Vater ist, wie er uns erzogen hat und wie er mit Menschen umgeht.» Aykan Erdemir, Türkei-Experte an der «Foun­dation for Defense of Democracies» in Washington, bestätigt dies: «Das sind frei erfundene Vorwürfe. Von Rechtsstaatlichkeit oder einem fairen Verfahren kann hier absolut keine Rede sein.» Unterstützung erhält Erdemir auch von US-Senator James Lankford, der bemerkt: «Es ist sehr merkwürdig, dass ein Missio­nar und amerikanischer Staatsbürger nach mehr als 20 Jahren in der Türkei plötzlich wegen Terrorvorwürfen inhaftiert wird, ohne Beweise und ohne Anklage.»

Erdemir vermutet, dass Brunson ein Unterpfand von Erdogan sei. Brunson werde in der Türkei als Geisel für Fethullah Gülen festgehalten. Da die türkischen Behörden der USA keine überzeugenden Beweise für Gülens Putschversuch vorlegen konnten, verweigert die amerikanische Justiz bisher dessen Auslieferung an die Türkei.

Forderung an Erdogan

Mittlerweile ist die Verhaftung von Andrew Brunson auf der höchsten politischen Ebene angekommen. Laut inoffiziellen Angaben war der Fall Gegenstand von Gesprächen zwischen US-Präsident Donald Trump und Erdogan bei dessen Besuch in den USA. Trump soll Erdogan aufgefordert haben, Brunson sofort freizulassen.

Erdogan selbst blieb unbeeindruckt. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hielt fest: «Unser Staatspräsident hat Trump erklärt, dass diese Person (Andrew Brunson) wegen Verbindungen zu Terrororganisationen festgenommen wurde und dass Anzeigen gegen ihn vorliegen. Er hat Verbindungen zur Terrorgruppe PKK und möglicherweise auch zu anderen Terrorgruppen.» Eine formale Anklage, die Eröffnung eines ordentlichen Prozesses und die Präsentation von Beweisen stehen dabei immer noch aus.

Brunson ist entmutigt

Pastor Brunson selbst scheint die Hoffnung auf eine Freilassung aufgegeben zu haben. So schreibt seine Frau Norine am 27. Mai 2017 auf Facebook: «Andrew ist extrem entmutigt und braucht dringend unsere Gebete.»

 

Reto Baliarda

Appelltext

Your Excellency,

We are very concerned about the fate of Mr Andrew Brunson. Mr Brunson has been living in Izmir with his family for 23 years without ever doing anything wrong. Despite this, he was arrested in October 2016 and has been in prison since then, apparently without any detention order. Up to the present date, neither the conditions for custody have been checked nor have any formal charges been pressed against him, which constitutes a severe violation of fundamental principles of the rule of law. This raises doubts if there are any real intentions to conduct a fair and transparent trial.

Turkey claims to be a democratic constitutional state. We therefore urge you to check if the process against Mr Brunson is in conformity with the rule of law and to steer it in the right direction. Further, we ask you to see to it that the court in charge in due course gathers the evidence for the accusations against Mr Brunson and checks if there are reasons either for upholding his custody or for a convicting sentence. Should this not be the case, we ask you to immediately release Mr Brunson.

 

Wir machen uns große Sorgen um das Schicksal von Andrew Brunson. 23 Jahre lang hat er mit seiner Familie in Izmir gelebt, ohne sich etwas zuschulden kommen zu lassen. Trotzdem wurde er im Oktober 2016 festgenommen und ist seitdem, offenbar ohne Haftbefehl, im Gefängnis. Bisher wurden weder die Voraussetzungen für eine Untersuchungshaft geprüft, noch formale Anklage erhoben. Dies sind grobe Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze, was Zweifel an der Absicht für ein faires und transparentes Prozessverfahren aufkommen lässt.

Die Türkei beruft sich darauf, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein. Wir bitten Sie daher, das Verfahren gegen Andrew Brunson umgehend auf seine Rechtsstaatlichkeit zu prüfen und in die richtigen Bahnen zu lenken. Weiterhin bitten wir Sie, dafür zu sorgen, dass das zuständige Gericht in angemessener Frist die Beweise für die Vorwürfe gegen Brunson vorlegt und prüft, ob ein Grund für eine fortgesetzte Untersuchungshaft oder für eine Verurteilung vorliegt. Falls nicht, bitten wir um sofortige Freilassung von Andrew Brunson.

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