27. Dezember 2016

Sie träumt von einer Rückkehr in ihre Heimat

Als Lina Yaishs Familie aus der Kleinstadt Bartella fliehen wollte, war es zu spät. IS-Terroristen sperrten sie ein und führten kurz darauf ihren Mann weg. Nach zwei Monaten konnte sie mit ihren Kindern ins Kurdengebiet flüchten. Ihre kleinste Tochter wurde durch die IS-Schergen schwer verletzt.

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Lina* lebt heute im Flüchtlingslager von Al-Amal in der kurdischen Stadt Erbil. Dort kümmert sie sich alleine um ihre drei Kinder* Rahil, Shaya und Sara. Von ihrem Mann hat sie seit über zwei Jahren nichts mehr gehört. Lina wird unter anderem von der CSI-Partnerorganisation Hammurabi unterstützt. Dank dieser Hilfe können die Kinder an verschiedenen Aktivitäten teilnehmen. Die besorgte Mutter erzählt von ihrer schlimmsten Zeit damals vor zweieinhalb Jahren, als der IS in die Ninive-Ebene eingedrungen war.

Ein Entscheid mit fatalen Folgen

Im August 2014 wurde auch Bartella durch den Islamischen Staat erobert. Die meisten Christen hatten die Kleinstadt bereits zuvor verlassen. Doch Lina und ihr Mann hatten sich zunächst entschieden, zu bleiben. «Doch dann mussten wir mitansehen, wie die sunnitischen Milizen die Häuser der Christen plünderten und begannen, unsere Kirchen zu zerstören», berichtet sie.

Das Ehepaar realisierte, dass dieses Schreckensumfeld für seine Kinder zu gefährlich war. Die Familie wollte die Stadt verlassen, doch es war zu spät: Beim Ausgang von Bartella wurde ihr Auto am IS-Checkpoint angehalten. «Als sie erfuhren, dass wir Christen waren, sperrten sie uns mit einer anderen christlichen Familie in ein Haus ein.» Immer wieder kamen die Terroristen auf die Familie zu und drängten sie, zum Islam zu konvertieren. Doch Lina und ihr Mann blieben standhaft.

Den schlimmsten Moment erlebte das Ehepaar, als ein IS-Dschihadist es aufforderte, ihm bis auf die getragenen Kleider alles zu geben, was sie hatten. Dabei sah er, wie Lina Geld in den Windeln ihres Babys Sara verstecken wollte. «Er entriss mir meine Tochter und schleuderte sie gegen die Wand. Das war zu viel für meinen Mann. Er schrie den brutalen Täter an. Da packten ihn einige IS-Leute und schleiften ihn weg. Das war am 30. August 2014. Ich habe seitdem nichts mehr von meinem Mann gehört.»

Lina selbst war am Boden zerstört. Hie und da konnte sie das Haus verlassen. So kam sie manchmal in Kontakt mit ihren muslimischen Nachbarn. Diese rieten ihr, sich zum Islam zu bekehren, damit sie ihr helfen könnten. Doch die tapfere Frau weigerte sich.

Nach zwei Monaten freigelassen

Nach zweimonatiger Gefangenschaft teilten IS-Kämpfer den beiden Familien mit, dass sie Bartella verlassen könnten. «Gleichzeitig wurden wir eindringlich gewarnt, nichts als unsere eigenen Kleider am Leibe mitzunehmen», erinnert sich Lina an diesen Moment, der für sie Erleichterung, aber auch Ungewissheit bedeutete.

Lina und ihre drei Kinder wurden an den Stadtrand von Bartella gebracht. Dort fanden sie jemand, der sie nach Erbil brachte.

Angst um die Zukunft ihrer Kinder

Seit über zwei Jahren lebt die junge Frau nun mit ihren Kindern im Flüchtlingscamp von Al-Amal in Erbil. Sie ist voller Ängste und Sorgen, weil sie keine Nachrichten von ihrem Mann hat. «Rahil, die sich an alles erinnert, und Shaya fragen mich häufig, wo ihr Vater sei. Was soll ich ihnen denn antworten?»

Ihre kleine Tochter Sara ist seit der brutalen Schandtat des IS-Schergen in einem besorgniserregenden Zustand. Das Gehirn des kleinen Mädchens wurde in Mitleidenschaft gezogen. «Manchmal fällt sie in Ohnmacht, wenn sie jemand berührt oder nach einem Weinkrampf», erklärt die niedergeschlagene Mutter. Alle 14 Tage muss sie Medikamente für Sara kaufen.

Die Sorgen um ihre Kinder rauben Lina häufig den Schlaf. «Ich frage mich oft, was aus ihrer Zukunft wird.» Sie fühlt sich hilflos, wenn die beiden älteren Kinder sie um etwas Geld bitten. «Ich kann ihnen ja gar nichts geben.»

Die Hoffnung, ihren Ehemann wieder zu sehen, hat Lina nicht aufgegeben. Ebenso möchte sie am liebsten zurück nach Bartella, das Ende Oktober 2016 durch die irakische Armee und deren Verbündete zurückerobert wurde «Die Nachricht, dass Bartella vom IS befreit wurde, ist das Beste, was ich seit zwei Jahren gehört habe. Zurück kann ich aber nur mit meinem Mann.» So bleibt ihr vorerst nichts anderes übrig, als zu warten.

 

Reto Baliarda