Nepal: Viele leben und hungern auf der Strasse

Seit über einem Monat gilt in Nepal landesweit die Ausgangssperre. Millionen von Nepalesen kämpfen uns Überleben. Die Notlage treibt die Bevölkerung zunehmend in die Verzweiflung.

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Schon vor der Pandemie lebte ein Viertel aller Nepalesen unter der Armutsgrenze von zwei US-Dollar pro Tag. Wie können sie jetzt sich und ihre Familien ernähren?

Wie geht es zum Beispiel denjenigen, die bis anhin in den Ziegelfabriken unter misslichsten Bedingungen geschuftet und durch die Ausgangssperre es nicht mehr geschafft haben, nach Hause zu reisen? Wie hunderttausend weitere Tagelöhner haben auch sie von heute auf morgen ihren Job und ihre bescheidenen Einnahmen verloren und wurden von der Fabrik abgeschoben. Wohin sollen sie gehen? Von was sollen sie sich ernähren, wenn alle Läden und Märkte geschlossen sind und sie nicht einmal Geld haben?

Anstieg von Vergewaltigungen und Frauen in der Prostitution

Stephen Adhikari*, CSI-Partner vor Ort, erlebt das Elend Tag für Tag mit: «Es gibt Tausende von armen Menschen, die auf den Strassen ausharren, nicht wissen wohin,  hungrig sind, weinen und betteln. Es  geht mir sehr nahe, wenn ich sie sehe und höre. Ich habe unendliches Mitleid mit ihnen. Ich habe mit ihnen geweint, als ich sie besuchte. Ich gehe auf die Strasse und treffe sie an. Ich kann nur für sie beten, weil ich keine finanziellen Mittel habe, um sie alle mit Lebensmitteln zu versorgen.»

Ein weiteres trauriges Phänomen sei der Anstieg von Vergewaltigungen und Frauen in der Prostitution. «Trotz den Ausgangssperren nimmt die Zahl immer mehr zu. Frauen sehen oft nur noch diesen traurigen Weg, durch Prostitution ihre Kinder ernähren zu können.»

Landesweit sterben immer mehr Menschen an Hunger, allem voran Kranke, ältere Leute und Kinder. Auch über Fälle von Selbstmorden aus tiefster Verzweiflung heraus und Morden, um an Essen zu gelangen, wird  immer mehr berichtet. Der Staat verteilt zwar Lebensmittelpakete. Doch dies geschieht selektiv, da zu wenig vorhanden ist. Ausgegrenzt werden primär Menschen, die sich in einem anderen Distrikt als an jenem  ihres Wohnorts aufhalten.

Auch religiöse Minderheiten werden stark benachteiligt. «Es gibt viele Pastoren, die momentan kein Gehalt von ihren Kirchenmitgliedern erhalten, weil diese selber um das tägliche Überleben kämpfen müssen. Dass sie dann auch noch von den dringend benötigten staatlichen Hilfen nichts erhalten, ist sehr schmerzlich», berichtet Stephen.

Zweite Verteilaktion an mittellose Fabrikmitarbeiter

Dank grosszügigen Spendern konnten Stephen und sein Team bereits zu Anfang  des Virusausbruchs  eine grosse Verteilung von Lebensmitteln und Hygieneartikeln an rund 700 Familien in Slumgebieten der Hauptstadt Kathmandu durchführen.

Nun hat Stephen eine zweite Verteilaktion durchgeführt, diesmal zusätzlich  an Fabrikmitarbeiter, die ihre Jobs verloren haben. Da sie wegen der Ausgangssperre nicht mehr in ihre Heimatorte zurückdurften, harren sie nun ohne jegliches Essen und Sicherheitsvorkehrungen voller Verzweiflung in den Steinhüttchen vor der Fabrik oder sogar auf der Strasse aus.

Über 250 Ehepaare und Familien konnten ihr Glück kaum fassen, als sie die Hilfspakete erhielten. Birma Kumari war eine unter ihnen. Sie und ihr Mann arbeiten seit zwei Jahren in einer Ziegelfabrik in Lalitpur, südlich von Kathmandu. Beide stammen aus dem 500 Kilometer entfernten Salyan, wo sie ihre Kinder bei den Grosseltern gelassen haben, um für die Familie etwas Geld zu verdienen. Als die Ausgangssperre verhängt wurde, stellte die Fabrik ihren Betrieb ein und warf die Arbeiter aus dem Areal. «Mit unseren wenigen Habseligkeiten standen wir plötzlich auf der Strasse und durften nicht nach Hause fahren. Wir versuchten zwar alles, um die Erlaubnis zu bekommen, zumindest nach Hause zu unseren Kindern zu fahren  bzw. laufen zu dürfen. Doch das wurde uns verweigert. Wir waren einfach nur schockiert.»

Viele haben keine Hilfe vom Staat bekommen

Während den ersten Tagen bekamen die Fabrikarbeiter Hilfe vom Staat – doch nur diejenigen, die aus diesem Distrikt stammten. Weil Birma und ihr Mann von einem anderen Distrikt stammten, erhielten sie nichts. «Wir waren völlig verzweifelt. Die ersten Tage kamen wir mit unseren wenigen Ersparnissen knapp über die Runden. Doch dann wurde es wirklich prekär, wie für unendlich viele weitere Menschen», erzählte Birma.

Als Stephen von der verzweifelten Lage in Lalitpur hörte, entschied er, die Verteilaktion auch unter den Fabrikarbeitern, die dort festsassen  und nichts erhielten, durchzuführen.

«Es ist unfassbar, was für eine Freude und vor allem Dankbarkeit es bei den Leuten auslöst,  wenn sie diese Pakete erhalten. Nie würden sie erwarten, dass ihnen eine so wertvolle Hilfe geben  würden. Jedes einzelne Paket, das wir verteilen dürfen, ist ein unendliches Geschenk. Für einen Moment in diese von tiefer Dankbarkeit erfüllten Augen zu schauen, berührt mein Herz auf eine unbeschreibliche Art und Weise», teilt uns Stephen am Ende der Verteilaktion aus Nepal mit.

Projektleiterin Nepal

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*Name aus Sicherheitsgründen geändert

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